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Was wir von „Momo“ über Achtsamkeit lernen können

Der märchenartige Roman „Momo“ von Michael Ende gehört zu den Klassikern der deutschsprachigen Kinderbuchliteratur. Die Geschichte von dem außergewöhnlichen Mädchen, das am Ende mit nichts als einer Blume in der Hand und einer Schildkröte unter dem Arm gegen die Zeit-Diebe, die „grauen Herren“, kämpft, hat schon mehrere Generationen von Leser*innen gefesselt und berührt. In diesem Jahr feiert „Momo“ 50. Geburtstag – und erscheint dabei doch aktueller als je zuvor. 

In diesem Blogartikel werden wir uns damit beschäftigen, was wir von Momo und ihren Freunden über Achtsamkeit lernen können. Denn schon lange bevor „Achtsamkeit“ in Europa ein Trendbegriff wurde, schrieb Michael Ende den Figuren in seinem Roman viele Eigenschaften zu, die wir heute mit genau diesem Begriff verbinden. 

Zuhören wie Momo

Achtsames Zuhören ist die Grundlage für ein harmonisches Miteinander und gegenseitiges Verständnis, ob gegenüber Freunden, Familienmitgliedern oder Fremden. Im Alltag passiert es schnell, dass wir unseren Mitmenschen nur mit halbem Ohr zuhören oder zu abgelenkt sind, um unserem Gegenüber unsere ganze Aufmerksamkeit und Anteilnahme zukommen zu lassen. An dieser Stelle zeigt uns die Geschichte von Momo eindrücklich, welche Kraft dem achtsamen Zuhören innewohnt:

„Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: Zuhören. […] 
Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig.
[…] sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an, und der Betreffende fühlte, wie ihm auf einmal Gedanken auftauchen, von denen er nie geahnt hatte, daß sie in ihm steckten.“

(Michael Ende: Momo. Wiener Verlag, S. 14ff.)

„Momo hörte allen zu, den Hunden und Katzen, den Grillen und Kröten, ja, sogar dem Regen und dem Wind in den Bäumen. Und alles sprach zu ihr auf seine Weise.
An manchen Abenden, wenn alle ihre Freunde nach Hause gegangen waren, saß sie noch lange allein in dem großen steinernen Rund des alten Theaters, über dem sich der sternenfunkelnde Himmel wölbte, und lauschte einfach auf die große Stille.
Dann kam es ihr so vor, als säße sie mitten in einer großen Ohrmuschel, die in die Sternenwelt hinaushorchte. Und es war ihr, als höre sie eine leise und doch gewaltige Musik, die ihr ganz seltsam zu Herzen ging. In solchen Nächten hatte sie immer besonders schöne Träume.
Und wer nun noch immer meint, zuhören sei nichts Besonderes, der mag nur einmal versuchen, ob er es auch so gut kann.“ 

(Momo, S. 21f.)

Spielen wie bei Momo

Auch beim Thema Spielen können wir viel von „Momo“ lernen. In den meisten Kinderzimmern sammeln sich im Laufe der Jahre unzählige Spielsachen an. Außerdem nehmen auch digitale Medien einen immer größeren Stellenwert im kindlichen Spielen ein. Langeweile wird durch neue Reize und neues Spielzeug bekämpft. Doch für die schönste Art zu spielen, braucht es keine ausgefallenen Spielsachen und schon gar keine Medien – es braucht vor allem Kreativität:

„[…] die Kinder kamen noch aus einem anderen Grund so gern in das alte Amphitheater. Seit Momo da war, konnten sie so gut spielen wie nie zuvor. Das war nicht etwa deshalb so, weil Momo so gute Vorschläge machte. Nein, Momo war nur einfach da und spielte mit. Und eben dadurch – man weiß nicht wie – kamen den Kindern selbst die besten Ideen. Täglich erfanden sie neue Spiele, eines schöner als das andere.“

(Momo, S. 23)

„[Die Kinder] hatten immer neue Spiele erfunden, ein paar alte Kisten und Schachteln genügten ihnen, um darin fabelhafte Weltreisen zu unternehmen oder um daraus Burgen und Schlösser zu errichten. Sie hatten weiterhin ihre Pläne geschmiedet und einander Geschichten erzählt.“

(Momo, S. 184)

Ein wichtiger Punkt, den Michael Ende außerdem anspricht, dreht sich um den „Nutzen“ von Spielen. Immer häufiger ist in unserer Leistungsgesellschaft der Alltag unserer Kinder so ausgefüllt und durchgetaktet, dass für das freie Spiel, für Abenteuer, für Planlosigkeit wenig Platz ist. Die Aktivitäten werden nach dem „Nutzen“ und dem Lernpotential für die Kinder bewertet. Auch in Michael Endes Roman unterziehen die Erwachsenen das kindliche Spielen einer Art „Wirtschaftlichkeitsprüfung“:

„Aber anstatt unsere Kinder auf diese Welt von morgen vorzubereiten, lassen wir es noch immer zu, daß viele von ihnen Jahre ihrer kostbaren Zeit mit nutzlosen Spielen verplempern. Es ist eine Schande für unsere Zivilisation und ein Verbrechen an der künftigen Menschheit!“

(Momo, S. 186)

„Auch Momos Freunde […] wurden in verschiedene Kinder-Depots gesteckt. Davon, daß sie sich hier selbst Spiele einfallen lassen durften, war natürlich keine Rede mehr. Die Spiele wurden ihnen von Aufsichtspersonen vorgeschrieben, und es waren nur solche, bei denen sie irgend etwas Nützliches lernten. Etwas anderes verlernten sie freilich dabei, und das war: sich zu freuen, sich zu begeistern und zu träumen.“

(Momo, S. 186)

Was wir daraus lernen können? Beim kindlichen Spielen sollte es nicht um Sinn oder Nutzen gehen. Das Wichtigste, was Kinder durch das Spielen lernen und erfahren können, ist Freude, Kreativität und die Fähigkeit, im Moment zu versinken. Dafür braucht es keine ausgefeilten Spielzeuge oder digitale Geräte – mit Alltagsgegenständen, der Welt um uns herum und einer lebendigen Vorstellungskraft können sich die tollsten Spiele und Geschichten erfinden lassen. 

Arbeiten wie Beppo

Nicht nur von Momo und den anderen Kindern können wir viel lernen: Einer von Momos erwachsenen Freunden verrät uns etwas entscheidendes darüber, wie wir mit den Pflichten und Aufgaben in unserem Leben umgehen sollten:

„Der Alte hieß Beppo Straßenkehrer. […]
Beppo […] tat seine Arbeit gern und gründlich. Er wußte, es war eine sehr notwendige Arbeit.
Wenn er so die Straßen kehrte, tat er es langsam, aber stetig: Bei jedem Schritt einen Atemzug und bei jedem Atemzug einen Besenstrich. Schritt – Atemzug – Besenstrich. Schritt – Atemzug – Besenstrich. Dazwischen blieb er manchmal ein Weilchen stehen und blickte nachdenklich vor sich hin. […]“

(Momo, S. 35f.)

„„Siehst du Momo“, sagte er […], „es ist so: Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen […]. Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedesmal, wenn man aufblickt, sieht man, daß es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich immer mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluß ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen.“
Er dachte einige Zeit nach. Dann sprach er weiter: „Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muß nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.“
Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte: „Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.“
Und abermals nach einer langen Pause fuhr er fort: „Auf einmal merkt man, daß man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste.“ Er nickte vor sich hin und sagte abschließend: „Das ist wichtig.““

(Momo, S. 36f.)

Über das Phänomen „Zeit“

Das zentrale Thema des Romans „Momo“ ist das Phänomen „Zeit“. Die „grauen Herren“ bringen nach und nach immer mehr Menschen dazu, Zeit zu sparen – mit dem falschen Versprechen, die eingesparte Zeit irgendwann wieder auszuzahlen. Die Menschen beginnen, sich zu hetzen und unnütze, zeitfressende Dinge aus ihrem Leben wegzurationalisieren. Doch das Zeitsparen macht die Menschen nicht reicher:

„Täglich wurden es mehr, die damit anfingen, das zu tun, was sie „Zeit sparen“ nannten. […]
Niemand schien zu merken, daß er, indem er Zeit sparte, in Wirklichkeit etwas ganz anderes sparte. Keiner wollte wahrhaben, daß sein Leben immer ärmer, immer gleichförmiger und immer kälter wurde. Deutlich zu fühlen jedoch bekamen es die Kinder, denn auch für sie hatte nun niemand mehr Zeit.
Aber Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen. Und je mehr die Menschen daran sparten, desto weniger hatten sie.“

(Momo, S. 70-72)

Mit anderen Worten: Wenn wir uns keine Zeit für die Dinge nehmen, die unser Herz erfüllen, die uns träumen und entspannen lassen; wenn wir verlernen, einfach in den Moment hineinzuleben, dann ist unsere verbrachte Zeit „tote Zeit“. Natürlich haben wir alle ganz alltägliche Arbeiten und Pflichten, die wir erledigen müssen. Doch am Ende kommt es eben nicht darauf an, wie viele Stunden wir täglich mit welchen Tätigkeiten verbringen. Sondern es kommt darauf an, wie wir diese Zeit wahrnehmen:

„Denn so wie ihr Augen habt, um das Licht zu sehen, und Ohren, um Klänge zu hören, so habt ihr ein Herz, um damit die Zeit wahrzunehmen. Und alle Zeit, die nicht mit dem Herzen wahrgenommen wird, ist so verloren, wie die Farben des Regenbogens für einen Blinden oder das Lied eines Vogels für einen Tauben.“

(Momo, S. 159)

Und wenn wir im Alltag, in den kleinen Momenten zwischen den Aufgaben, auf dem Weg zur Arbeit, und natürlich in der Freizeit, unsere Zeit nicht damit verbringen, schon an die nächste Pflicht zu denken, sondern es schaffen, einfach im Hier und Jetzt zu leben und den Moment zu erfahren, dann kann genau das unser Leben lebenswert machen:

„Und in der großen Stadt sah man, was man seit langem nicht mehr gesehen hatte: Kinder spielten mitten auf der Straße, und die Autofahrer, die warten mußten, guckten lächelnd zu, und manche stiegen aus und spielten einfach mit. Überall standen Leute, plauderten freundlich miteinander und erkundigten sich ausführlich nach dem gegenseitigen Wohlergehen. […] Jeder konnte sich zu allem so viel Zeit nehmen, wie er brauchte und haben wollte, denn von nun an war ja wieder genug davon da.“

(Momo, S. 265)

Fazit

Die große Lehre des Buchs „Momo“ besteht in der Weisheit, dass die Zeit das Potential hat, unser Leben unendlich zu bereichern, sofern wir den Moment ausfüllen, erfahren und mit ganzem Herzen wahrnehmen können. Die Zeit ist immer da, genau hier und jetzt – wir müssen ihr nicht hinterherlaufen und keine Angst davor haben, dass sie uns davonläuft. Je mehr Zeit wir uns lassen – je gelassener wir sind – desto reicher und ausgefüllter wird unser Leben. Die Buchfigur Momo und viele ihrer Freunde sind in dieser Hinsicht echte Vorbilder, egal ob bei den Themen Zuhören, Spielen und Arbeiten oder in vielen anderen Lebensbereichen. Wer nach Anstößen sucht, um sein Leben achtsamer zu gestalten, dem sei das Buch „Momo“ daher wärmstens empfohlen.

Übrigens: nicht nur von Momo können wir viel über Achtsamkeit lernen. Hier geht es zu unserem Blog-Beitrag „Was wir von Winnie Pooh über Achtsamkeit lernen können“.

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